Die Geschichte der Wolfklamm
„Schönste Klamm Tirols“, so heißt es in den Broschüren der Tourismuswerbung. Zweifelsohne zählt die Wolfsklamm zu den beeindruckendsten Naturwundern unseres Landes.
Der Name könnte einer Zeit entstammen, in der Wildtiere wie Luchs, Bär und Wolf noch unsere Wälder durchstreiften. Vielleicht bot sich die Klamm, als diese Tiere vom Menschen zunehmend bejagt und zurückgedrängt wurden, als Zufluchtsort der letzten Wölfe im Lande an, so wie ja auch der letzte Bär Tirols unweit der Klamm 1898 erlegt wurde.
Die Wolfsklamm wurde in Jahrmillionen von Naturgewalten geschaffen. Die wilden Wasser des Stallenbaches, des Gamsbaches und des Georgenbergerbaches fraßen sich immer tiefer in das Kalkgestein des Karwendels ein und formten diese einzigartige Klamm. Jedes Jahr bestaunen Tausende Besucher ihre wildromantische Schönheit. Im Jahr 2016 waren es mehr als 65.000.
Doch es war nicht immer so. Für die Menschen in früherer Zeit hatte nicht nur der Name „Wolfsklamm“ etwas Beängstigendes und Abweisendes, sondern sie fürchteten vor allem auch die zerstörerische Gewalt des Hochwassers, welches nach heftigen Unwettern im Stallental immer wieder aus der engen Schlucht herausschoss und enorme Schäden im Dorf anrichtete.
Die Kneipp-Kuranstalt entstand ursprünglich in der Wolfsklamm
Mit dem beginnenden Tourismus um 1900 wuchs bei den meist aus den Städten kommenden Erholungsuchenden die Begeisterung an den Besonderheiten der Natur. Die Eröffnung der ersten Kneipp-Kuranstalt des Landes in unserem Dorf (1890) - das wichtigste Heilmittel Pfarrer Kneipps ist bekanntlich ja frische Luft und kaltes Wasser - förderte zusätzlich das Interesse an der Wolfsklamm. Ihre Erschließung hatte allerdings eine sehr wechselhafte Geschichte.
1895 berichtete der „Tiroler Bote“ erstmals von einem Weg durch die Wolfsklamm. Wahrscheinlich handelte es sich bei dem erwähnten „Weg“ um den der eigentlichen Schlucht westlich ausweichenden „Leo-Steig“, benannt nach dem Fiechter Benediktinerpater Leo Bechler, der sich für die Erschließung der Wolfsklamm einsetzte und die Errichtung von Holzstegen anregte.
Der erste Wandersteig
1901 wurde der erste Steig in die Klamm angelegt. Die gesamte Schlucht durchwandern konnte man jedoch damals noch nicht. Bei den zwei Hohen Wasserfällen war für die begeisterten Besucher Schluss.
Die Dorfchronik berichtet dazu: „Die Eröffnung des ersten Weges in die Klamm fand am 11. August 1901 statt. Zahlreiche geladene Gäste und voran die Musikkapelle wanderten bis zur eigentlichen Klamm. Dort erwarteten Knappen in Galauniform die Festgäste, ein Vorarbeiter sprach den Willkommensgruß. Die Knappenlöcher waren dekoriert und mit Fackeln beleuchtet. Man besichtigte den alten Stollenbau und konnte sich in einer Weinkantine stärken. Alle Festteilnehmer begingen die 300m lange, mit Brücken Galerien, Stiegen und provisorischen Stegen, mit Geländern und Drahtseilen gesicherte Klamm. Die Arbeiten erforderten einen Aufwand von ca. 1.200 Gulden. Die Klamm selbst war durch eine Tür abgesperrt. Die Schlüssel konnten in den Stanser Gasthäusern, dem letzten Haus vor der Klamm und auf St. Georgenberg abgeholt werden. Der Eintrittspreis in die Klamm betrug 40 und 20 Heller pro Person.“
Die verheerenden Auswirkungen des Hochwassers von 1912
Der Freude und Begeisterung für die erschlossene Klamm wurde allerdings ein jähes Ende gesetzt, als im Juli 1912 ein furchtbares Hochwasser diese einmalige Attraktion zunichte machte. Gewaltige Wassermassen zerstörten die Wege und überfluteten das Dorf und die Felder bis zum Bahnhof. Der Bahnverkehr musste wegen Unterspülung der Geleise für längere Zeit eingestellt werden.
Während des Ersten Weltkrieges und in den Jahren danach waren weder die Arbeitskräfte noch die finanziellen Mittel für den Wiederausbau des Klammweges vorhanden. Es dauerte mehr als zwei Jahrzehnte, bis man es wagte, einen neuen Weg anzulegen. Der Besitzer des Gasthofes „Tirolerheim“ und Vorstand des Verschönerungsvereines Stans, Karl Prinz, setzte sich unermüdlich für die Wiedererschließung der Klamm ein.
Feierliche Wiedereröffnung erst 1936
Die feierliche Eröffnung des neu angelegten Weges fand am 4. Oktober 1936 bei der Grotte am Eingang zur Klamm statt. Auf dem sehr kühn und spektakulär angelegten Steig konnte man nun die gesamte Schlucht begehen. Neben den beiden jahrhundertealten Pilgerwegen nach St. Georgenberg über Weng bzw. über Maria Tax und den Kirchfahrterweg führte nun ein besonders attraktiver Steig hinauf zum wichtigsten Tiroler Wallfahrtsort. Prinz selbst beschreibt den neuen Weg auf den Heiligen Berg folgendermaßen: „Stans, eine prächtige Sommerfrische mit herrlichen Ausflügen nach Schloss Tratzberg, St. Georgenberg und auf das Stanser Joch mit einem herrlichen Rundblick weit in die Alpen, besitzt in seiner Wolfsklamm die Perle des ganzen Dörfchens. Der Verschönerungsverein Stans hat sie zugänglich gemacht. Ein gutmarkierter Weg führt über die neue Kirche- Neuwirt-Tirolerheim zum herrlichen Aussichtpunkt Kreuzbühel. Weiter auf schönem Waldweg zum Eingang in die Schlucht, die der Stallenbach durchrauscht, in dem muntere Forellen im Sonnenschein ihr Spiel treiben. Nun führt der Weg über eine Holzbrücke dem wilden Bachbett entlang bis zum eigentlichen Eingang in die Wolfsklamm. Ein wahres Höllentor. Durch dieses gelangt man über drei Holzbrücken auf dem in den Fels gesprengten Steig entlang zu zwei großen Höhlen. In der Tiefe smaragdgrüne oder tiefblaue Wasser, links und rechts kirchturmhohe Felsen, Knappenlöcher mit Quellen und Tuffbildungen, alles malerisch mit Sträuchern und Moosen umrahmt. Weiter geht es auf einer Brücke und zwei Stiegen zum ersten großen Wasserfall empor, dessen Wasser über Felsblöcke und alten eingerammte Buchenstämme wirbelnd und tosend in die Tiefe stürzen. Auf steilerem Felsenweg über kühngebaute Stiegen und Brücken überquert man den wildesten Teil des tosenden Sturzbaches. Alle diese Bilder übertreffen die kühnste Phantasie und zeigen einen Ausschnitt aus der Natur, wie er in solcher Mannigfaltigkeit nicht leicht zu finden ist. Den gewaltigen Eindruck dieses Naturschauspiels erhöht das donnernde Rauschen des letzten, 50 m hohen Wasserfalls. Nun geht es durch schönen Wald, an der idyllischen Holzsäge vorbei, nach St. Georgenberg.“
Doch schon 10 Jahre später schlug die Natur erneut erbarmungslos zu.
Weitere Hochwässer
Das Hochwasser vom 27. Juli 1946 zerstörte große Teile der Steiganlagen, und das Jahrhunderthochwasser von 1950 besorgte genau vier Jahre darauf den Rest. Die Chronik berichtet: „Am Annatag 1950 ging ein furchtbares Hochgewitter mit Hagelschlag über das östliche Karwendel nieder. Der sonst so friedliche Dorfbach schwoll zum reißenden Wildbach an, der in seinem Unterlauf über die Ufer trat und das angrenzende Gelände überschwemmte. Alle Brücken und Wege im Bereich des Baches waren verschwunden, und unterhalb der Stauwehr beim „Forcheter“ entstand eine 4-5m hohe Schutthalde. Viele Häuser mussten geräumt werden.
Wie in einem Hexenkessel sah es in der engen Schlucht aus. Mächtige Bäume wirbelten wie Zündhölzer durch die Klamm und durch die Luft. Wege und Stege waren weggerissen, das Ufer abgerutscht, der Talboden ein Durcheinander von Geröll, Bäumen und Brettern. Auf Umwegen und kletternd konnte man dorthin gelangen, wo ein Leitungsmast und zerrissene Drähte die Stelle bezeichneten, an der tags zuvor noch das große Elektrizitätswerk gestanden war. Aus dem Schutt ragten noch jahrelang die zerstörte Turbinenwelle und das Schaufelrad hervor. Unversehrt aber stand in der Lourdesgrotte daneben das Bild der Muttergottes“.
Lawinen und Felsstürze
Der Hochwasserkatastrophe nicht genug, donnerte im darauffolgenden Winter die Jahrhundertlawine (21.1.1951) vom Stanserjoch auch in die Klamm und vernichtete neben Unmengen von Bäumen auch den oberen Bereich des Klammweges.
Fünf Jahre nach diesen zerstörerischen Naturkatastrophen ging man nun ein drittes Mal daran, die Klamm wieder begehbar zu machen. Diesmal wurde bei der Anlage des neuen Weges auf mehr Sicherheit und größeren Abstand zum Wasser Bedacht genommen. Man wählte auch an manchen Stellen eine andere Trassenführung und setzte besondere technische Maßnahmen (Felssprengungen, Schrämm- und Bohrarbeiten, Ausbruch eines Tunnels).
Die Wiedereröffnung erfolgte am 26. Juni 1957.
Seither kann der Weg durch die Klamm vom Frühjahr bis in den späten Herbst (während des Winters ist die Klamm gesperrt) durchgehend begangen werden.
Selbst die große Lawine vom 21. März 1967, die den oberen Teil der Klamm verschüttete, brachte dank eines enormen Arbeitseinsatzes lediglich einen etwas verspäteten Öffnungstermin in jenem Jahr.
Auch die Schäden durch einen Felssturz 1986 beim Knappenloch sowie zwei große Felsabbrüche 1999 und 2014 am oberen Klammende, welche in den Wintermonaten die beiden längsten Brücken zerstörten, konnten zum jeweiligen Saisonsbeginn wieder behoben werden.
Für eine zusätzliche Erhöhung der Sicherheit wurde 2005 der Steig im gesamten Schluchtbereich bergseits mit einem Drahtseil versehen.
Es ist zu wünschen und zu hoffen, dass in Zukunft die Natur die Wolfsklamm vor größeren Zerstörungen verschont, keine Wanderer durch unvorhersehbare Ereignisse zu Schaden kommen und sich die Menschen weiterhin an diesem Naturjuwel erfreuen und begeistern können.
Die Klamm – ein mittelalterliches Bergbaugebiet
Jedem aufmerksamen Klammbesucher fällt am Beginn der eigentlichen Klamm nach der ersten Brücke ein tiefes Loch im Fels auf, aus dem eine Quelle entspringt. Kaum jemand würde vermuten, dass es sich bei diesem Loch um einen alten Bergwerksstollen handelt.
Der frühere Landesgeologe Dr. Peter Gstrein hat 1999 den Stollen wissenschaftlich erforscht und dokumentiert. Der Stollen wurde in der Zeit von 1400 – 1440 händisch mit Spitzeisen und Schlägel in der damaligen Schrämmtechnik angelegt. Höchstwahrscheinlich waren es die zur damaligen Zeit im Dorf angesiedelten Schwazer Bergknappen, die hier in der Klamm nach Erzen suchten, vor allem nach dem Mineral Bleiglanz, welches für die Ausschmelzung des Silbers (Saigerprozess) notwendig war. Dr. Gstrein konnte jedoch in seinen Untersuchungen dieses Mineral nicht feststellen. Es blieb bei diesem „Klammbergbau“ lediglich bei einem Versuchsstollen.
Die Klamm - ein Refugium seltener Pflanzen- und Tierarten
Die Wolfsklamm stellt ein besonderes Biotop mit eigenem Mikroklima dar und ist dadurch Lebensraum einer besonderen Tier- und Pflanzenwelt.
Hier findet man noch Österreichs größte Orchidee, die Frauenschuhorchidee, und die seltene Türkenbundlilie. Verschiedenfarbige Akeleiarten, Maiglöckchen, Wildrosen, u.v.m. wachsen an den Wegrändern, und an den Felshängen blühen Steinnelke, Platenigl und vereinzelt sogar Alpenrosen.
Für manche Tiere wie Bachforelle, Wasseramsel und Bachstelze bieten der Bach und sein Uferbereich einen idealen Lebensraum.
Die Klamm – ein wichtiger Naherholungsraum...
...und eine attraktive Destination im Naturpark Karwendel
Schon vor mehr als 100 Jahren schätzten die vielen Kneipp-Kurgäste die gesundheitsfördernde frische Luft der Wolfsklamm. Sie nutzten das kalte Wasser für ihre Kneippanwendungen und genossen den Anblick der einzigartigen Natur.
Der Mensch von heute sucht vor allem Ruhe und Erholung vom Stress des Alltags.
Gleich nach den letzten Häusern des Dorfes öffnet sich am Eingang zur Klamm für den Besucher eine vollkommen andere Welt. Die Hektik und der Lärm des Inntales weichen urplötzlich einem beruhigenden Rauschen des Baches. Frische reine Luft und die Natur in all ihrer Schönheit beleben Körper und Geist.
Durch die leichte Erreichbarkeit der Wolfsklamm gehört sie mit dem Felsenkloster St. Georgenberg zu den beliebtesten Ausflugszielen in der Silberregion und im Naturpark Karwendel.
Für die ORF-Sendereihe „Die 3 schönsten Plätze des Landes“ wurde die Wolfsklamm 2016 als einer der drei schönsten Plätze Tirols nominiert.